Im Verlauf des Jahres 2025 wurden im Bereich der Neuen Synagoge im Essener Südostviertel bei Baggerarbeiten Mauerreste freigelegt. Nach einer baubegleitenden archäologischen Dokumentation durch einen Stadtarchäologen zeigte sich im Anschluss, dass es sich bei dem Fund um Reste der nördlichen, westlichen und südlichen Außenmauer samt Fundament des ehemaligen Jüdischen Jugendheims handelt – die eingemessenen Mauerverläufe passen exakt mit den alten Kartierungen des Gebäudes überein. An der Südseite sind außerdem noch Teile der Kopfsteinpflasterung des alten Gehweges erhalten sowie vermutlich einzelne Kellerbereiche auf der Nordseite.
Von besonderer Bedeutung sind auch erhaltene Reste an der Nordseite der ehemals eindrucksvollen Fassade des "schönsten Jugendheims Deutschlands", wie einst der damalige Gemeinderabbiner Hugo Hahn (1893-1967) formulierte. Die Fassade war mit hellen, langschmalen Hohlziegeln verkleidet, von denen einige bei der Baumaßnahme geborgen werden konnten. Neben diesen architektonischen Elementen konnten in den modernen Baugruben auch zahlreiche Brandspuren inklusive umfangreichem Brandschutt dokumentiert werden, die von dem verheerenden Brandanschlag während der Novemberpogrome auf das Gebäude zeugen.
Durch die archäologische Aufnahme der freigelegten Befunde konnten nicht nur die Außenmauern des Jüdischen Jugendheims verortet, sondern auch die originale Außenfassade nachempfunden werden – ein besonderes Zeugnis der damals fortschrittlichen Architektur. Die Maßnahme liefert einen eindrucksvollen Einblick in ein verloren geglaubtes Stück Essener sowie deutscher Geschichte und widerlegt die Aussage, dass die Nationalsozialisten den Bau restlos abgetragen haben.
Ein Großteil der bei der Baumaßnahme freigelegten Mauerstrukturen konnten nach Abschluss der Erdarbeiten im Boden erhalten bleiben. Nur in einzelnen Bereichen mussten Teile der Mauern, begleitet durch die Stadtarchäologie der Stadt Essen, vorsichtig abgetragen werden. Das geborgene Material wird gereinigt, bestimmt und zur Archivierung dem Ruhr Museum übergeben. Nach Abschluss der Auswertungen soll zudem eine Publikation in Form eines Artikels erfolgen.
Zum Hintergrund
Während der Novemberpogrome 1938 wurde die alte Essener Synagoge stark beschädigt. Die in der Nachkriegszeit deutlich kleinere jüdische Gemeinde in Essen entschloss sich zu einem Neubau an anderer Stelle. Die Neue Synagoge im Essener Südostviertel ist seit Ende 1959 Gebetshaus der jüdischen Gemeinde.
Die Fläche, auf der die Neue Synagoge errichtet wurde, wurde bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus von der jüdischen Gemeinde genutzt. An gleicher Stelle befand sich seit den frühen 1930er Jahren das Jüdische Jugendheim. Es wurde durch das Engagement von Hugo Hahn realisiert und im Jahr 1932 vom Architekten Erich Mendelsohn als "Haus der jüdischen Jugend" erbaut. Das Haus bot der Jugend in einer Zeit zunehmender Anfeindungen einen Zufluchtsort.
Es war nicht nur ein Ort für sportliche Aktivitäten mit einer Turnhalle, Rasenflächen und einer Kegelbahn, sondern diente auch als Ort der Lehre mit einer Bibliothek, Unterrichtsräumen, Lehrküchen, Gruppen- sowie Werkräumen. Mit einer Mehrzweckhalle mit Bühne und 400 Sitzplätzen lud das Jugendheim zu Konzerten, Vorträgen und Theateraufführungen ein. Im halbrunden Vorbau befand sich außerdem ein Café. Nach nur kurzer Zeit wurde das neu erbaute Gebäude in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Brand gesteckt und zerstört. Noch während der NS-Zeit sollen die verbliebenden Reste des Gebäudes restlos abgetragen worden sein, nichts sollte mehr an die jüdische Einrichtung erinnern. Der kürzliche Fund zeugt davon, dass die Täter des NS-Regimes dabei nicht so gründlich vorgingen, wie zuvor angenommen.
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