Mit dem Erasmus+-Programm beruflich über den Tellerrand schauen

"Wenn es die Möglichkeit nochmal geben würde, würde ich es definitiv nochmal machen."

Europa entdecken und das in der Dienstzeit? Unmöglich? Nicht für Auszubildende und Praxisanleiter*innen der Stadt Essen. Im Zuge des Projekts "Essen Goes Global" ermöglicht die Stadtverwaltung Essen Interessierten in andere europäische Verwaltungen reinzuschnuppern und sich beruflich als auch persönlich weiterzuentwickeln. Organisiert wird das Programm vom Büro für Europaangelegenheiten. Finanziell gefördert durch Programm "ERASMUS+ Mobilität in der Berufsbildung" .

Insgesamt 26 städtische Mitarbeiter*innen bekamen damit die Möglichkeit über einen Zeitraum von drei bis 14 Tagen Ein- und Überblicke in den Aufbau und die Inhalte rund um die Aus- und Weiterbildung sowie den Organisationsaufbau anderer Stadtverwaltungen zu sammeln. Darunter auch Julia, Stadtsekretärin, die von ihren Erfahrungen und Erlebnissen im Interview berichtet.

Wie sind Sie auf das Erasmus+-Programm aufmerksam geworden?

"Im Oktober letztes Jahr haben wir eine Rundmail von der Ausbildungsabteilung der Stadt Essen bekommen mit der Info, dass die Möglichkeit besteht an einem Austauschprogramm teilzunehmen.

In der Mail wurde das Erasmus+-Programm ein bisschen vorgestellt, worum es dabei geht, wie das abläuft, mit kleinen Erfahrungsberichten und dass man sich dafür mit einem Letter of Interest bewerben kann."

Wie war das Auswahlverfahren für das Erasmus+-Programm? Was musste man dafür machen?

"Eigentlich fand ich es voll okay. Ich war zu dem Zeitpunkt im InOffice eingesetzt und die Praxisanleiterin war auch schon im Rahmen von Erasmus in Helsinki. Da hatte ich bei ihr nachgefragt, was sie in ihrem Letter of Interest geschrieben hatte. Damit hatte ich eine kleine Vorlage quasi. Ich habe es nicht kopiert, aber es war eine gute Hilfestellung.

Den Letter of Interest habe ich am 14.10. abgeschickt und 26.11. kam dann die E-Mail mit der engeren Auswahl."

Wie lange dauerte der Prozess zwischen Bewerbung auf das Programm und finaler Zusage der anderen Verwaltung?

"Für die Anfrage an die andere europäische Behörde musste man dann einen Letter of Intent und einen Europass Lebenslauf abgeben, den ich am 4. Dezember nach Stockholm verschickt habe. Am 13. Januar habe ich eine Absage für Stockholm bekommen. Daher habe ich am 14. Januar eine Anfrage nach Espoo geschickt, da man bis zu drei Städte angeben kann, falls es nicht bei der ersten Anfrage klappt. Die offizielle Zusage von Espoo kam am 17.04. Man brauch also schon etwas Geduld."

Gab es Unterstützung für das Erasmus+-Programm?

"Ja, das Büro für Europaangelegenheiten. Die hatten den eigentlichen Kontakt zu den Städten. Die haben dann unsere Anfragen weitergeleitet und auch bei Fragen weitergeholfen. Beispielsweise wenn man andere Zeiträume angegeben hatte, die aber nicht mehr möglich waren, wenn man eine andere Stadt anschreiben musste als die Erstwahl. Man hatte immer einen Ansprechpartner."

Gab es Probleme bei der Planung/Organisation des Austausches?

"Geldtechnisch war es schon ein bisschen kurzfristig an manchen Stellen, weil die Unterkünfte und die Flüge immer teurer wurden.
Je nachdem wie viel Zeit man dazwischen hat. Hätte ich jetzt im Januar schon die Zusage von ESPO bekommen, wäre das definitiv billiger gewesen."

Was musste im Vorfeld alles organisiert werden?

"Innerhalb von vier Wochen musst du alles planen, organisieren, buchen und mit dem ersten Geldtransfer. Dafür sind auch die ersten 70 % der Förderung gedacht."

Wie viel finanzielle Unterstützung bekommt man für den Austausch?

"Je nachdem wie weit man wegfliegt oder fährt, bekommt man eine andere Förderung. Da Espoo über 1000 km Luftlinie entfernt ist, lag der Förderungswert bei 1173 EUR.
Man bekommt 70 % Vorauszahlung für die Unterkunft, Anreise, ÖPNV vor Ort, bevor man fährt und wenn man wiederkommt, muss man sich nochmal melden, damit man die 30 % bekommt. Deswegen wäre es ratsam, wenn man die Zusage bekommt, schon mal ein bisschen Geld beiseite zu legen, wenn das geht. Die 30% bekommt man hinterher recht schnell."

Wie waren die Tage vor Ort organisiert?

"Ich war insgesamt 12 Tage in Espoo und habe quasi alle zwei Tage den Bereich gewechselt da.
Ich war zuerst bei der Hello Espoo-Info. Das ist so die erste Stelle für Leute, die gerade nach Espo gezogen sind. Oder für Ausländer, dass sie dort die erste Hilfe bekommen. Dann war ich bei der Beschaffung für zwei Tage. Dann im Büro für Europaangelegenheiten und danach in der "Early-Stage-Integration". Die Early-Stage-Integration betreut am meisten Leute, die auch relativ frisch in Espoo sind. Meistens alleinerziehende Mütter, damit sie Finnisch und Schwedisch lernen können, da das die Hauptsprachen in Finnland sind."

Welche Unterschiede gab es?

"Es war alles, finde ich, relativ ähnlich. Die haben in der Early-Stage-Integration und in der Hello Espoo-Info, viele Aufgaben wie im Jobcenter, weil es auch über Kela geht. Kela ist quasi das Bürgergeld in Finnland. Das war schon relativ ähnlich.

Die Beschaffung war eigentlich eins zu eins gleich, nur dass die mit dem Copilot arbeiten. Die Prozesse waren durch die EU-Regelungen schon gleich, aber eben digitalisierter als hier."

Hat der Austausch seinen Zweck erfüllt bzw. wurde das vorgenommene Ziel erreicht?

"Ich habe mich für den Norden, für Skandinavien, entschieden, weil die schon ein bisschen weiter fortgeschritten sein sollen und das habe ich definitiv gemerkt.
Manche Sachen machen die komplett über die KI. Sie haben eigentlich nur einen Tag, den sie im Büro sind. Die haben keine Blätter, also keine Papierverwaltung, mehr. Die sind schon digitalisierter.
In Espoo wird mit dem Microsoft Copilot gearbeitet. Manche Fachbereiche benutzen den schon komplett. Manche kommen da jetzt gerade hin, indem sie die Risk-Evaluation machen, also ob sie den benutzen können oder ob da irgendwelche Probleme mitkommen."

War genug Zeit die Stadt/das Land privat kennenzulernen?

"Ja, auf jeden Fall. Meine Unterkunft war fünf Minuten von Espoos Central Park mit dem Henttaanmetsä forest entfernt . Das ist ein riesengroßer Wald. Ich bin eine Stunde in eine Richtung gelaufen und da war immer noch alles Wald. Espoo besteht nämlich zu 70 Prozent aus Wald. Da bin ich gern nach der Arbeit unterwegs gewesen.
An meinem freien Wochenende bin ich Samstag nach Helsinki gefahren. Und da sonntags kein Ruhetag und alles auf war, habe ich Sonntag Espoo komplett erkundet. In Helsinki gibt es eine alte Kriegsinsel, die habe ich auch besucht.
Ich bin echt viel gelaufen. Neue Schuhe mitzunehmen war leider nicht die schlauste Idee."

Was bleibt vom Erasmus-Austausch hängen?

"Ich würde es jedem empfehlen. Ich wurde direkt gut aufgenommen. Die haben alle mit mir Englisch geredet, sobald ich in den Raum gekommen bin. Auch wenn sie Kundengespräche auf Finnisch oder Schwedisch hatten, dann haben sie sich danach die Zeit angenommen mir das alles auf Englisch nochmal zu erzählen. Ich kann nur ein Wort auf Finnisch. Das ist ‚Kiitos‘ und das heißt ‚Danke‘.
Finnland war aber auch generell sehr schön. Das Wetter war angenehm und es hat nicht viel geregnet, was ein Wunder war. Das war die erste gute Woche, haben sie mir erzählt.
Wenn es die Möglichkeit nochmal geben würde, würde ich es definitiv nochmal machen."

Zum Abschluss: Was sollten Interessierten an dem Programm unbedingt wissen?

"Versuchen am Ball zu bleiben, auch wenn eine Rückmeldung – besonders der Partnerstädte - lange dauern kann. Immer mal wieder nachfragen und jede Chance nutzen im Gedächtnis zu bleiben.

Und wenn man unsicher ist, wegen dem Letter of Interest, gern an mich oder andere wenden, die das Programm schon gemacht haben."

Julia - Stadtsekretärin

Julia begann nach ihrem Abitur 2020 ein Polizei- und Informatikstudium. Während des Studiums stellte sie fest, dass sie gern mehr Praxisnähe hätte und startete daher 2023 die Ausbildung als Stadtsekretäranwärterin. Die Ausbildung hat sie erfolgreich im Juli 2025 beendet.

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